Verlorener Kampf: Raubsaurier gegen Inselzwerg

Tragen große Raubsaurier Schuld am Aussterben des Europasaurus vor 154 Millionen Jahren? Versteinerte Dinosaurier-Fußspuren nahe Goslar weisen auf gemeinsame Lebensräume hin.

Ein Forschungsprojekt über Dinosaurier in der Region um Goslar hat anhand neuer Fundstücke weitere Erkenntnisse über deren Leben vor 154 Millionen Jahren erbracht: Versteinerte Fußspuren, die jetzt wissenschaftlich ausgewertet wurden, lassen die Schlussfolgerung zu, dass große Raubsaurier in den Lebensraum des vergleichsweise zwergenhaften Europasaurus eingedrungen sind: Augenscheinlich hatte sich der Meeresspiegel gesenkt und den Räubern den Weg zu der vormals auf einer Insel geschützt lebenden kleineren Gattung freigegeben.

Panorama der späten Jurazeit der heutigen Harzregion, auf dem zu sehen ist, wie große Raubsaurier dem kleineren Europasaurus nachstellen. (Bild: Joschua Knüppe/2015)
Jens Lallensack,

Paläontologe am Steinmann-Institut der Universität Bonn, hat die Fußabdrücke aus dem niedersächsischen Langenberg-Steinbruch gemeinsam mit Kollegen ausgewertet. "Die gefundenen Raubsaurier-Spuren sind gigantisch!", freut sich der Wissenschaftler. Auch Dr. Oliver Wings, der am Landesmuseum Hannover ein von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Förderinitiative "Forschung in Museen" gefördertes Forschungsprojekt zur gesamten Urzeit-Lebewelt der Region leitet, betont die Vielfalt der Erkenntnisse, die sich aus den Funden im Steinbruch ableiten lassen: "Der Langenberg-Steinbruch ist eine Schatzkammer für uns Paläontologen!" Die Ergebnisse ihrer aktuellen Untersuchung konnten Lallensack und Wings gemeinsam mit Nils Knötschke vom Dinosaurier-Park Münchehagen und Prof. Dr. Martin Sander, ebenfalls am Steinmann-Institut tätig, jetzt in einer Studie in der Fachzeitschrift Palaeontologia Electronica veröffentlichen.

Neue Technik ermöglicht weitere Erkenntnisse

Die Forscher haben für die Studie unter anderem eine Spurenplatte ausgewertet, die bereits 2003 im Steinbruch ausgegraben wurde. Da der Abbau im Steinbruch schnell voran schritt und dadurch alle nicht geborgenen Spuren verloren gingen, mussten sie auf analoge Fotografien zurückgreifen. Mithilfe der Photogrammetrie-Technik, die Messdaten und Fotografien miteinander kombiniert, konnten die Wissenschaftler jetzt die ursprüngliche Anordnung der Fußspuren als digitales dreidimensionales Modell rekonstruieren und auswerten. "Noch vor fünf Jahren wäre eine solche Rekonstruktion der Fundstelle technisch nicht machbar gewesen", erklärt Lallensack.

Nils Knötsche vom Dinopark Münchehagen bei der Bergung der Fußspuren im Jahr 2003. (Foto: Holger Lüdtke/2003)

Sie fanden bei ihrer Untersuchung fossile dreizehige Fußspuren von großen räuberischen Dinosauriern (sog. Theropoden) mit einer Körperlänge von etwa acht Metern. Frühere Untersuchungen im Langenberg-Steinbruch hatten bislang nur ergeben, dass in dieser Gegend die neu entdeckte Dinosaurier-Art Europasaurus holgeri lebte. Der Europasaurus war ein Pflanzenfresser aus der Gruppe der gigantischen, langhalsigen Sauropoden – sie zählen mit bis zu über 30 Metern Länge zu den größten Landtiere aller Zeiten. Europasaurus dagegen maß ausgewachsen lediglich sechs bis acht Meter Länge. Wahrscheinlich ist, dass sich der Dino-Zwerg durch seine kleinere Körpergröße dem begrenzten Nahrungsangebot auf einer kleinen Insel, auf der er lebte, angepasst hatte, um überleben zu können. Die Insel befand sich im mitteleuropäischen Flachmeer der späten Jurazeit vor 154 Millionen Jahren.

Sinkender Meeresspiegel machte Raubsauriern den Weg frei

Die Forscher gingen nun der Frage nach, wie die dreizehigen Fußspuren der Raubsaurier in den Lebensraum des Europasaurus gelangen konnten. Eine wichtige Erkenntnis: Die Raubsaurier-Spuren stammen aus einer Gesteinsschicht, die sich nahe der Schicht mit den Europasaurus-Spuren befand, und sind etwa 35.000 Jahre jünger als die dort gefundenen Europasaurus-Knochen. "Möglicherweise gab es innerhalb dieser aus geologischer Sicht recht kurzen Zeitspanne eine Absenkung des Meeresspiegels und die festländischen Raubsaurier sind neu eingewandert", schlussfolgert Oliver Wings. Denn anhand der Vielzahl der marinen Fossilien wie Schnecken, Muscheln oder Seeigeln, die in Langenberg gefunden wurden, lässt sich ablesen, dass sich die Kalksteine des Steinbruchs, in denen die Spuren des Europasaurus gefunden wurden, innerhalb eines flachen Meeresbeckens gebildet haben.

Dreidimensionales Modell einer der größten gefundenen Raubsaurier-Fußspuren: Links als Höhenmodell, rechts mit fotorealistischer Textur. (Foto: Jens Lallensack/2015)

Die dreizehigen Raubsaurier-Fußspuren sind bislang der einzige Hinweis auf ein zeitweises Trockenfallen des Gebiets und die anschließende Existenz großer festländischen Raubsaurier auf der einstigen Europasaurus-Insel. "Wir vermuten, dass damit auch das Ende dieser spezialisierten Inselzwerge besiegelt war", resümiert Lallensack.

Informationen zur Publikation (open access)

Lallensack, Jens N., Sander, P. Martin, Knötschke, Nils, and Wings, Oliver. 2015. Dinosaur tracks from the Langenberg Quarry (Late Jurassic, Germany) reconstructed with historical photogrammetry: Evidence for large theropods soon after insular dwarfism. Palaeontologia Electronica 18.2.31A: 1-34

Hintergrund zur Förderinitiative "Forschung in Museen"

Die Förderinitiative "Forschung in Museen" richtet sich an Museen unterschiedlicher Größe und thematischer Ausrichtung, die Forschungsarbeiten zu ihren Sammlungen betreiben möchten. Nächster Stichtag ist der 15. Juli 2015.

Der Vergleich zeigt anschaulich die Größenunterschiede zwischen Mensch, Raubsaurier und dem Zwerg-Dinosaurier Europasaurus. (Foto: Joschua Knüppe/2015)