Förderangebot Task Forces: Hochdruckforschung für die Demokratie

#Wissenschaft und Gesellschaft

Jens Rehländer

Demokratien sind weltweit bedroht. Was kann die Wissenschaft zu ihrer Resilienz beitragen? Antworten sollen Forschende und außerwissenschaftliche Akteure in "Task Forces" erarbeiten, die ein Jahr lang gefördert werden.

So eine Herausforderung ist die Wissenschaft in Deutschland nicht gewöhnt: Binnen eines Jahres mit außerwissenschaftlichen Akteur:innen eine konkrete Forschungsfrage festlegen, bearbeiten, Lösungsansätze entwickeln und dafür sorgen, dass diese Handlungsempfehlungen die passenden Adressat:innen erreichen, etwa in der Politik. So aber sieht der Rahmen aus, den die VolkswagenStiftung für ihr experimentelles Förderangebot "Task Forces" vorgibt, eines von zwei Angeboten unter dem Dach der Initiative "Transformationswissen über Demokratien im Wandel"Adelheid Wessler, Teamleiterin "Gesellschaftliche Transformationen" und Cora Schaffert-Ziegenbalg, die zuständige Förderreferentin, stellen das Angebot vor.

Wie kamen Sie auf den Kategorienbegriff "Task Forces"? Ursprünglich bezeichnete man damit militärische Einheiten. 

Schaffert-Ziegenbalg: Damit hat unser Förderangebot natürlich überhaupt nichts zu tun. Wohl aber mit der Funktion, die Task Forces im Militär haben: als eine Einheit, die gebildet wird, um eine scharf umrissene Aufgabe mit gebündelter Expertise in kurzer Zeit zu erledigen. Wir erwarten von Antragstellenden etwas Ähnliches: Dass sie eine auf Deutschland oder auf die EU-Ebene bezogene konkrete und akute Herausforderung für demokratische Strukturen identifizieren, eine Forschungsfrage bearbeiten und das Ergebnis nach zwölf Monaten in Form von Handlungsempfehlungen den passenden Multiplikator:innen präsentieren. 

Gelingt seriöse Wissenschaft in nur zwölf Monaten?

Schaffert-Ziegenbalg: Es ist ein Risiko, das die Stiftung hier eingeht, keine Frage. Die Wissenschaft denkt in großen Zeiträumen, während gesellschaftliche Akteur:innen sich faktenbasierte Handlungsempfehlungen immer so schnell wie möglich wünschen. Ob es gelingt, mit außerakademischen Akteur:innen in der vorgegebenen Zeit gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, ist auch für uns eine offene Wette. Die bisherigen Erfahrungen mit dem deutschen Wissenschaftssystem sprechen eigentlich dagegen. Aber im Profilbereich "Gesellschaftliche Transformationen" wollten wir diesen Versuch trotzdem unternehmen. 

Wessler: Als wir das Förderangebot entwickelt haben, stand Demokratien bereits unter Druck. Dieser Druck nimmt stetig zu. Es brennt überall auf der Welt. Deshalb können wir drängende gesellschaftspolitische Fragen nicht mehr mit dem üblichen Forschungstempo angehen. Die "Task Forces" sind eine Reaktion auf die teils disruptiven Transformationsprozesse in Demokratien. 

Cora Schaffert-Ziegenbalg

Cora Schaffert-Ziegenbalg betreut als zuständige Förderreferentin die Initiative "Transformationswissen über Demokratien im Wandel". 

Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass Forschende hier von politischen Interessen gesteuert werden könnten?

Schaffert-Ziegenbalg: Wir rechnen damit, dass Teilnehmende mit einer bestimmten Haltung und Zielvorstellung in den Prozess reingehen. Das ist aber von unserer Seite so nicht gewünscht. Wir wollen ergebnisoffene Wissenschaft! Die Arbeitshypothese wird von beiden Parteien gemeinsam definiert. Danach wird unabhängig von den Interessen und Agenden Einzelner geforscht, anders als in aktivistischen Kontexten, wo Wissenschaft dazu dient, die Ziele außerwissenschaftlicher Akteure mit den passenden Befunden zu unterfüttern.

Wessler: Engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft sind zu Recht selbstbewusster geworden und sagen den Forschenden, wir wollen hier wirklich von euch einbezogen werden und nicht bloß am Ende Daten und fertige Ergebnisse abnehmen. Das zu akzeptieren und öffentliche Beteiligung zuzulassen, ist immer noch eine unbewältigte Herausforderung für das deutsche Wissenschaftssystem. Wir sind gespannt, wie solche Konflikte in den Task Forces gelöst werden. Das ist Pionierarbeit für beide Seiten: Geförderte und Fördernde.

Sehen Sie noch andere Konfliktpotenziale?

Wessler: Wir haben einen Fragebogen entwickelt, in dem Antragstellende darlegen sollen, wie sie mit Agenden und politischen Interessen im Forschungsprozess umgehen wollen, damit das Ziel unabhängiger und ergebnisoffener Forschung nicht verloren geht. Wir bitten darum, die Projektkonstellationen zu begründen und zu reflektieren, wie die Interessen der Partner:innen in dem Forschungsvorhaben berücksichtigt und laufend reflektiert werden. 

Was können Sie Interessierten noch mit auf den Weg geben? Welche Themen sind denkbar?

Schaffert-Ziegenbalg: Für die Begutachtung entscheidend ist die Darstellung einer aktuellen Herausforderung für demokratische Strukturen, die sich auf Deutschland oder die EU konzentrieren. Der Titel der Förderinitiative "Transformationswissen über Demokratien im Wandel" gibt das Suchfeld für Themen vor. Immer noch zweifellos ein großes Suchfeld. Es geht um die Bedingungen, unter denen sich Demokratien gegenwärtig ändern, von sozio-kulturellen Prozessen bis zu Formaten von Demokratiegestaltung. Im Vordergrund müssen Fragen und Themen stehen, die jetzt brennen, wo Politik und Gesellschaft, also wir alle, keine Zeit mehr haben, auf die Ergebnisse mehrjähriger Forschungsprojekte zu warten. Wir ermuntern ausdrücklich dazu, wissenschaftliche Risiken einzugehen, im Modus des strapazierten "Out-of-the-box" zu denken und gern auch Ideen für Wissenschaftskommunikation einzureichen. Kreative Formate sind willkommen, vom Podcast über Science Slams oder Theaterstücke. Wir sind zuversichtlich, dass den Task Forces die richtige Kommunikationsformate einfallen werden, um ihre Botschaften an die Zielgruppen zu bringen. 

Am Anfang war die Rede vom Risiko, das sich die Stiftung mit den Task Forces leistet…

Wessler: Das Risiko betrifft nicht nur die Frage, wie groß die Resonanz im Wissenschaftssystem sein wird. Auch als Stiftung wagen wir hier den Spagat zwischen unabhängiger Förderin und Förderung von Projekten, die vorhersehbar politische Handlungsempfehlungen hervorbringen werden. Aber auch dieses Spannungsfeld hat ja mit Transformation von Gesellschaft zu tun, passt also zu unserem Profilbereich. Wir zeigen Flagge für diese Ordnung, in der wir leben. Nicht Flagge für eine Partei oder politische Richtung, aber für das System der liberalen Demokratie.

Portrait einer Frau

Adelheid Wessler leitet den Profilbereich "Gesellschaftliche Transformationen".

Transformationswissen über Demokratien im Wandel – transdisziplinäre Perspektiven

Mit diesem Förderangebot möchte die Stiftung  Wissenschaft und (zivil)gesellschaftliche Akteure zusammenbringen, um neue Perspektiven auf gesellschaftliche Transformationsprozesse von Demokratie zu ermöglichen. 

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